Gesetzlicher Unfallschutz trotz Umweg
(kunid) Ein Mann wurde von seiner Frau mit dem Pkw von der Arbeit abgeholt. Sie fuhr allerdings nicht auf dem direkten Weg zurück, sondern wählte eine Ausweichroute – die sie aufgrund früherer Unfallerfahrungen als sicherer erachtete. Dennoch passierte ein Unfall, bei dem ihr Mann verletzt wurde. Die Allgemeine Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) wertete den Unfall aufgrund des Umwegs nicht als Arbeitsunfall. Der Oberste Gerichtshof entschied jedoch anders (Geschäftszahl 10ObS162/13s).
Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit erlitt ein Arbeitnehmer bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Die Frau des Verletzten, die das Fahrzeug lenkte, war allerdings nicht direkt nach Hause gefahren, sondern hatte einen Umweg zu einer Bankfiliale genommen.
Doch selbst wenn sie nicht zur Bank hätte fahren wollen, hätte sie trotzdem nicht den „direkten“ Weg nach Hause gewählt, sondern eine Strecke, die sich – jedenfalls bis zum Unfallzeitpunkt – mit der Fahrstrecke am Unfalltag deckte. Der Grund: Auf der direkten Strecke hatte sie bereits zwei Verkehrsunfälle erlitten und wollte diesen Weg deshalb meiden.
Erstgericht urteilt gegen den Verunfallten
Die Allgemeine Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) lehnte es jedoch ab, dem verletzten Arbeitnehmer Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Ihrer Meinung nach handelte es sich bei dem Unfall nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Paragrafen 175 Absatz 2 ASVG (Allgemeines Sozialversicherungs-Gesetz). Geschützt wäre nur der „direkte“ Weg zwischen Arbeitsstätte und der Wohnung des Arbeitnehmers gewesen. Der Weg zur Bankfiliale sei aber ein im privatwirtschaftlichen Interesse gewählter Umweg.
Das Berufungsgericht sah die Sache anders. Grundsätzlich sei nur der direkte Weg – also in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung – geschützt. Auf einem längeren Weg bestehe nur dann Versicherungsschutz, „wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen benutzt werden konnte oder der Versicherte dies wenigstens annehmen konnte“.
Dass der Weg ursprünglich zur Bank hätte führen sollen, erachtete das Berufungsgericht nicht als problematisch: Der Unfall sei ja noch auf dem Wegabschnitt passiert, den die Frau regelmäßig wählt. Somit habe er sich „noch nicht in einer Phase des Weges ereignet …, der ausschließlich persönlichen, eigenwirtschaftlichen Interessen (Aufsuchen der Bankfiliale) gedient“ habe.
Lenkerin konnte Umweg als sicherer annehmen
Damit war die AUVA nicht einverstanden, der Fall ging deshalb bis zum Obersten Gerichtshof (OGH). Die AUVA argumentierte unter anderem: Dass die Fahrerin den Weg möglichst störungsfrei zurücklegen habe wollen, könne kein Grund sein, bei der geringsten Verkehrsstörung einen Unfallversicherungs-Schutz auf einem Umweg zu begründen.
Der OGH stellte fest, dass zwar in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung geschützt ist, „wobei einerseits das gewählte Verkehrsmittel maßgebend ist und andererseits der Versicherte zwischen im Wesentlichen gleichwertigen Möglichkeiten frei wählen kann“.
Auf einem durch Umweg längeren Weg bestehe aber Versicherungsschutz, „wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte … Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht, beispielsweise wegen einer Verkehrssperre, oder nur unter – vor allem für die Verkehrssicherheit – wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zum Beispiel durch Witterungs-, Straßen- oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende günstigere Bedingungen wenigstens annehmen konnte“.
Schutz auf dem Umweg nicht von vornherein ausgeschlossen
Wenn nicht der kürzeste Weg gewählt wird, entfällt laut OGH der Versicherungsschutz also nur dann, „wenn für die Wahl des Weges andere Gründe maßgebend gewesen sind als die Absicht, den Ort der Tätigkeit beziehungsweise auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen ist“.
Dabei sei insbesondere auch der Wunsch in Betracht zu ziehen, „den Weg möglichst störungsfrei und zweckmäßig zurückzulegen“. Werde der Umweg eingeschlagen, um eine bessere Wegstrecke oder eine schneller befahrbare oder weniger verkehrsreiche Straße zu benutzen, so sei – je nach den Umständen des Einzelfalls – der Unfallversicherungs-Schutz auf dem Umweg nicht ausgeschlossen.
Weiter hielt der OGH fest, dass kleine Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung der Wegstrecke oder der Wegzeit führen, für den Unfallversicherungs-Schutz unschädlich sind. Dabei seien die Ausführungen des Berufungsgerichts zu berücksichtigen, wonach die längere Wegstrecke nicht als „erhebliche Verlängerung“ angesehen werden könne. Der OGH verwies dabei auch auf das Tempolimit.
Sogar bei erheblichen Umwegen Versicherungsschutz möglich
Der Versicherungsschutz bleibe nach den in der OGH-Entscheidung ausgeführten Grundsätzen auch bei erheblichen Umwegen bestehen, „wenn der innere Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit bestehen bleibt“. Dies werde insbesondere bei Umwegen bejaht, um eine bessere Wegstrecke oder eine weniger verkehrsreiche oder eine schneller befahrbare Straße zu benutzen.
An der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Ehefrau aufgrund ihrer früheren Unfälle annehmen konnte, dass der streckenmäßig kürzeste Weg wesentlich weniger verkehrssicher gewesen wäre, hatte der OGH im Hinblick auf die festgestellten Umstände nichts zu beanstanden. Wie der Fall zeigt, ist es nicht immer eindeutig, ob der gesetzliche Unfallschutz greift oder nicht. Zudem besteht bei Freizeitunfällen prinzipiell kein gesetzlicher Unfallschutz, obwohl sich hier die meisten Unfälle ereignen. Eine private Absicherung ist daher sinnvoll.
Im Gegensatz zur gesetzlichen bietet eine private Unfallversicherung weltweiten Schutz und zwar rund um die Uhr, also sowohl bei Unfällen im Beruf als auch in der Freizeit. Die Höhe der Absicherung kann hier nach dem individuellen Bedarf gestaltet werden. Sinnvoll zur Einkommenssicherung sind auch eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeits-Polizze, welche im Übrigen nicht nur nach einem Unfall, sondern auch bei Krankheit leisten. Ein Versicherungsexperte hilft, die individuell passende Absicherung auszuwählen.